UWE:
Als ich Uwe zum ersten Mal sah, spielte er Tamburin. Klopfte auf allem herum und spielte Gitarre und sang. Lautlos. Mittendrin in einer belebten Einkaufsstrasse in Bruchsal an einem Samstag mittag im Mai.
Er war in seiner eigenen Welt.
Ich wußte ihn nicht einzuschätzen, konnte sein Verhalten nicht recht einordnen.
Es hiess, er wäre gerade aus der Psychiatrie entlassen und hätte zuvor alleine auf der Strasse in Heidelberg gelebt.
Erst im Lauf der Zeit erfuhr ich seine Geschichte.
Und lernte einen Mann kennen, der mich immer wieder aufs Neue beeindruckt und beschäftigt.
Und so erzählte er mir davon, dass er der Sohn gehörloser Eltern wäre. Er selbst ist schon sehr früh fasziniert von Musik und wird Musiker. Jedoch ist die Kluft zwischen ihm und seinen Eltern unüberbrückbar. Er schafft es nicht, ihnen seine Welt näher zu bringen...
Wenn Uwe trinkt wird er "komisch".
Er redet die ganze Zeit, nicht wirr, sondern hoch konzentriert. Dabei ist es ihm vollkommen egal, ob man ihm zuhört, oder sich parallel mit anderen unterhält.
Als wir uns das erst Mal trafen, suchte er nach Körperkontakt. Nähe.
Ich erinnere mich nicht mehr genau, von was er sprach, aber seine Wortwahl war ausgesprochen intelligent und in Hinsicht auf seine seelische Verfassung sehr aussergewöhnlich.
Er redete ununterbrochen davon, wie froh er sei, endlich Menschen gefunden zu haben, die ihn so akzeptierten, wie er war. Das er sich wohl fühlte.*
Immer wieder ging er zu einzelnen Mitgliedern der Gruppe und bedankte sich.
Uwe hat sich in 2016 das Leben genommen.
Coyote:
Er begegnete mir zum ersten Mal 2010 mitten im Winter. Es brannte nur eine einzige Kerze im zugigen Verschlag und somit war es stockfinster...Plötzlich, aus heiterem Himmel sagte er: "Guck mal, Sylvie, ich zeig Dir jetzt mal was gaaaanz Tolles!" Und dann gruschtelte er in seinem Rucksack rum und zog plötzlich eine Art Dolch aus den Tiefen seines Gepäcks hervor.
Er war stolz wie Oskar, nur mir blieb fast das Herz stehen.
Inzwischen habe ich ein ganz neues Bild von ihm bekommen. Wir reden oft über die 26 Jahre, die er auf der Strasse verbracht hat und auch über das, was sie aus ihm gemacht haben.
Einmal fragte ich ihn: „Coyote, Du bist doch sicherlich im Heim aufgewachsen." Da sah er mich an mit diesem waidwunden Blick und rannte davon. Kurze Zeit später kam er dann zurück und fragte mit Tränen in den Augen: "Sylvie, woher hast Du das gewusst? Bis jetzt weiss das kein Mensch. Niemand kommt so nah an mich dran. Ich erzähle das nie. Niemand weiss das und ich hab noch nie jemand davon erzählt“.
Und da erwiderte ich:" Siehste mal, manch einer kennt Dich besser, als Du glaubst...Aber man spürt, wenn jemand nie echte, richtige Geborgenheit kennengelernt hat. Nie eine Mutter hatte, bei der man auf dem Schoß sitzen durfte. Wenn jemand sein ganzes Leben nur eins war: Nämlich allein. Und dafür hast Du dich zu einer verdammt grossartigen Persönlichkeit entwickelt. Auch, wenn Du so ein Spinner bist, der in stockfinsterer Nacht Frauen mit ellenlangen Messern erschreckst."
Koyote lebt seit seinem 13.Lebensjahr auf der Strasse.